Was ist der Progressionsvorbehalt?
Vereinfacht gesagt bedeutet Progressionsvorbehalt, dass Arbeitnehmer bestimmte Einkünfte nicht versteuern müssen. Diese Einkünfte spielen jedoch bei der Ermittlung des individuellen Steuersatzes eine Rolle. Sie können nämlich dafür sorgen, dass der Steuersatz höher liegt und Arbeitnehmer damit mehr Abgaben an den Fiskus zahlen müssen. Die rechtlichen Grundlagen für den Progressionsvorbehalt finden sich in Paragraf § 3 des Einkommenssteuergesetzes (EStG).
Berechnung des Progressionsvorbehalts
Ein Beispiel: Eine Arbeitnehmerin erhält im Jahr 2024 für einige Monate Kurzarbeitergeld. Das Kurzarbeitergeld zählt zu den Leistungen, die steuerfrei sind, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Erwirtschaftet diese Arbeitnehmerin im Jahr 2024 ein zu versteuerndes Einkommen von 30.000 Euro und erhält zusätzlich 6.000 Euro Kurzarbeitergeld, rechnet man das Kurzarbeitergeld zu dem übrigen Jahreseinkommen hinzu. Das ergibt eine Summe von 36.000 Euro. Anhand dieser Summe lässt sich der individuelle Steuersatz ablesen, der für das zu versteuernde Einkommen gilt.
Da das Kurzarbeitergeld nicht zu diesen Einkünften gehört, zieht man es bei der Besteuerung wieder ab. Übrig bleibt der Betrag von 30.000 Euro, für den die Arbeitnehmerin Steuern (nach dem höheren Steuersatz) zahlen muss. Welche Steuern Arbeitnehmer bei welchem Einkommen zahlen müssen, ergibt sich also aus der individuellen Berechnung.
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Welche Lohnersatzleistungen fallen unter den Progressionsvorbehalt?
Neben dem Kurzarbeitergeld, für das der Progressionsvorbehalt gilt, gibt es noch weitere Lohnersatzleistungen, die der Arbeitgeber zahlt und die ebenfalls steuerfrei sind. Dazu zählen:
- Verdienstausfallentschädigungen: Rechtliche Grundlage für diese Lohnersatzleistung ist das Infektionsschutzgesetz.
- Aufstockungsbeitrag: Für Arbeitnehmer, die sich in Altersteilzeit befinden, müssen Arbeitgeber nach dem Altersteilzeitgesetz oder beamtenrechtlichen Vorschriften gemäß Progressionsvorbehalt unter bestimmten Voraussetzungen Aufstockungsbeiträge oder Altersteilzeitzuschläge zahlen.
- Insolvenzgeld: Unter bestimmten Bedingungen müssen Arbeitgeber außerdem bei einer Insolvenz Lohnersatzleistungen zur Deckung von Lohnausfällen zahlen.
- Mutterschaftsgeld: Der Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld unterliegt ebenfalls dem Progressionsvorbehalt.
- Lohnzusatzleistungen: Lohnzusatzleistungen wie zum Beispiel monatliche Sachleistungen im Wert von bis zu 50 Euro oder andere geldwerte Vorteile sind steuerfrei, müssen aber beim Progressionsvorbehalt berücksichtigt werden.
Lohnersatzleistungen anderer Stellen
Neben den Lohnersatzleistungen, die Arbeitgeber zahlen, können Beschäftigte noch weitere Zahlungen von anderen Stellen erhalten. Auch diese Zahlungen sind steuerfrei, das Finanzamt zieht sie aber bei der Ermittlung des individuellen Steuersatzes heran:
- Elterngeld: Geregelt ist diese Zahlung im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz. Auch das Mindestelterngeld unterliegt dem Progressionsvorbehalt.
- Arbeitslosengeld: Für das Arbeitslosengeld I gilt der Progressionsvorbehalt. Arbeitnehmer müssen den entsprechenden Leistungsnachweis an das zuständige Finanzamt übermitteln.
- Krankengeld: Krankengeld, das die gesetzliche Krankenkasse zahlt, muss ebenfalls in der Steuererklärung angegeben werden, da es einen Einfluss auf den persönlichen Steuersatz und somit den Progressionsvorbehalt hat.
- Übergangsgeld: Übergangsgeld von der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegt ebenfalls dem Progressionsvorbehalt.
- Lohnersatzleistungen aus dem EU- oder EWR-Ausland und/oder der Schweiz: Diese Zahlungen sind steuerfrei, wirken sich aber auf den individuellen Steuersatz aus.
- Ausländische Einkünfte: Wenn Ihr Arbeitnehmer zusätzlich ausländische Einkünfte bezieht oder bezogen hat, unterliegen auch diese dem Progressionsvorbehalt.
Diese Leistungen fallen nicht unter den Progressionsvorbehalt
Daneben gibt es weitere Leistungen, die steuerfrei sind und nicht unter den Progressionsvorbehalt fallen, zum Beispiel unter anderem:
- Arbeitslosengeld II
- Sozialhilfe
- Erziehungsgeld
- Betreuungsgeld
- Wohngeld
- Streikgeld
- Pflegegeld
- Einkünfte aus einem Ein-Euro-Job
- Krankentagegeld von einer privaten Krankenversicherung
- Einkünfte aus einem Minijob
Steuerrückzahlungen beim Progressionsvorbehalt
Der Progressionsvorbehalt sorgt dafür, dass die Steuerbelastung für Arbeitnehmer steigt. Das führt dazu, dass Arbeitnehmer, die eine Lohnersatzleistung wie zum Beispiel Elterngeld erhalten, häufig mit einer Steuernachzahlung rechnen müssen. Arbeitgeber können ihre Arbeitnehmer, die eine derartige Leistung erhalten, darauf hinweisen, dass diese mit einer Steuernachforderung rechnen sollen. Das kann den Unmut auf der Seite der Beschäftigten zumindest ein wenig besänftigen.
Lohnsteuervorauszahlung durch Arbeitgeber
Hin und wieder beschweren sich Beschäftigte darüber, dass ihr Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug nicht richtig durchgeführt hat. Das passiert häufig genau dann, wenn sie ein Schreiben vom Finanzamt mit der Aufforderung zur Steuernachzahlung erhalten haben.
Arbeitgeber können ihre Beschäftigten in diesem Falle darauf hinweisen, dass sie bei den Lohnsteuervorauszahlungen eben nicht alle Lohnersatzleistungen berücksichtigen können. Denn Arbeitnehmer können auch Lohnersatzleistungen erhalten, von denen Vorgesetzte keine Kenntnis haben (vgl. die oben genannten Leistungen anderer Stellen).
Aus diesem Grund werden Lohnersatzleistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, in der Regel individuell in der jeweiligen Einkommenssteuererklärung berücksichtigt. Das ist jedoch der Natur der Sache geschuldet und liegt nicht daran, dass Arbeitgeber Fehler bei der Lohnabrechnung gemacht hätten.
Was versteht man unter negativem Progressionsvorbehalt?
Arbeitnehmer, die zu viel Lohnersatzleistungen, wie zum Beispiel Kurzarbeitergeld erhalten haben, müssen diese Leistungen vermutlich wieder zurückzahlen. Wickeln Arbeitgeber die Rückzahlung ab, können sie beim Finanzamt einen Antrag auf den sogenannten negativen Progressionsvorbehalt stellen. Dadurch sinkt die Steuerbelastung des Arbeitnehmers in dem Jahr, in dem er die Lohnersatzleistung zurückzahlen muss.
Pflichten des Arbeitgebers im Hinblick auf den Progressionsvorbehalt
Arbeitgeber sind verpflichtet, bestimmte Bescheinigungen und Aufzeichnungen vorzuhalten, damit das Finanzamt bei Fragen auf sie zurückkommen kann. Dazu gehören:
Sollten sie bestimmte Lohnersatzleistungen von ihren Beschäftigten zurückfordern, müssen sie diesen Vorgang im Lohnkonto festhalten. Und zwar in dem korrekten Kalenderjahr. Das ist das Jahr, in dem Arbeitnehmer die Leistungen zurückgezahlt haben.
Haben Arbeitgeber Lohnersatzleistungen an ihre Beschäftigten gezahlt, müssen sie diese in der Lohnsteuerbescheinigung eintragen.
Damit das Finanzamt leichter nachvollziehen kann, wann Lohnersatzleistungen gezahlt wurden und wann nicht, müssen Arbeitgeber den Großbuchstaben U verwenden. Nämlich dann, wenn sie die entsprechende Leistung für mindestens fünf aufeinanderfolgende Arbeitstage nicht mehr gezahlt haben. In dieser Phase der Unterbrechung könnte eine andere Stelle dem Arbeitgeber eine andere Lohnersatzleistung gezahlt haben. Damit das Finanzamt diese Möglichkeit nicht übersieht, weist man mit dem Großbuchstaben U auf diese Unterbrechung hin.
Sofern Arbeitnehmer eine Lohnersatzleistung erhalten haben, dürfen Arbeitgeber keinen Lohnsteuerjahresausgleich durchführen.
Progressionsvorbehalt abschaffen?
Schon seit einiger Zeit gibt es Diskussionen darüber, ob man den Progressionsvorbehalt abschaffen oder aussetzen soll. Denn einige Experten gehen davon aus, dass der Progressionsvorbehalt sein eigentliches Ziel verfehlt. Ursprünglich wollte man damit nämlich für mehr Steuergerechtigkeit sorgen.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass sich das gar nicht so einfach bewerkstelligen lässt. Das Hauptargument derjenigen Personen, die sich dafür aussprechen, den Progressionsvorbehalt abzuschaffen oder zumindest für eine gewisse Zeit auszusetzen, bezieht sich auf die Leistungsfähigkeit oder das Leistungsfähigkeitsprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass jeder Steuerzahler im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit (also letztlich seiner Einkünfte) Steuern zahlen soll.
Diese Prinzip wird beim Progressionsvorbehalt jedoch teilweise ausgehebelt. Denn einige Lohnersatzleistungen, wie zum Beispiel das Arbeitslosengeld I oder das Elterngeld, berechnet man auf der Grundlage des Nettogehalts. Und Nettogehalt besagt eben, dass der Arbeitnehmer schon Steuern darauf gezahlt hat. Wenn nun für diese Leistungen auch noch der Progressionsvorbehalt gelten soll, werden sie bei genauer Betrachtung doppelt versteuert. Mit Steuergerechtigkeit hat das – so die Gegner des Progressionsvorbehalts – jedoch nicht mehr viel zu tun. Daher müsse man dringend darüber nachdenken, den Progressionsvorbehalt zumindest zu modifizieren.
Progressionsvorbehalt in Unternehmen– Alles Wichtige auf einen Blick
- Der Progressionsvorbehalt kann den persönlichen Steuersatz der Beschäftigten erhöhen.
- Ein höherer Steuersatz sorgt dafür, dass Arbeitnehmer mehr Steuern zahlen müssen.
- Besonders bei Lohnersatzleistungen wie dem Kurzarbeitergeld kann das für Unmut sorgen.
- Arbeitgeber müssen sich jedoch an die gesetzlichen Vorschriften halten und können Lohnersatzleistungen nicht ohne den Progressionsvorbehalt auszahlen.
- Neben den Lohnersatzleistungen, die Arbeitgeber zahlen, können Arbeitnehmer noch weitere Leistungen anderer Stellen erhalten, die ebenfalls unter den Progressionsvorbehalt fallen. Das erschwert die Berechnung der individuellen Lohnsteuervorauszahlung.